B R I G A N T

Lyrik und Prosa der Kompostmoderne



1
Als Konrad Schwarz aufwachte, war der Tag schon an seinem Zenit vorbeigezogen. Er beschloss spazieren zu gehen, durch die Gegend zu wandern, um alles zu sehen und nichts daran zu ändern. Er würde herumwandern und jeder könnte sich denken, dass da ein Tunichtgut herumkommt.
Konrad glaubte zu bemerken, wie die Leute, denen er begegnete, ihn sonderbar anschauten. In keiner Weise hatten diese Blicke etwas Schlechtes oder Abwertendes. Vielmehr war es eine besondere Aufmerksamkeit, die sie ihm entgegenbrachten. Er nahm dies deshalb war, weil er sich auch besonders fühlte. Irgendwie frisch und herausragend. Der Tag hatte sich noch nicht an ihm abgearbeitet. Da er sich erst am Nachmittag zurecht gemacht hatte, fühlte sich seine Haut noch ganz glatt und unnatürlich an, die Noten seines Duschgels stiegen ihm bei bestimmten Bewegungen in die Nase, seine Kleidung war noch nicht eingetragen, sondern lag schranksteif an ihm und sein Atem war frisch durch die Zahnpasta. Der Aufwand stand dabei nur in einem sehr geringen Verhältnis, zur verbleibenden Dauer des Tages.
Die Rolle in der er sich grade befand, gefiel ihm von den vielen, die er jeden Tag neu an sich anpasste, am Besten. Sein Äußeres täuschte wohl einige und hinterließ einen Eindruck, der ein Trugschluss war.
So machte er sich auf seinen Weg und lief immer weiter, bis er die dicht besiedelte Gegend hinter sich gelassen hatte.
Obwohl er so spät aufgestanden war, hatte der Tag noch sehr lange angedauert. Es war ein Solcher, im Höhepunkt des Sommers, von dem man dachte, dass er ewig dauern würde. Doch diese Illusion des Unendlichen hielt er nicht aufrecht. Obwohl die Sonne unvermeidbar dem Horizont entgegensank, war es noch unverändert hell. Der Überlebenskampf, in dem dieser Tag steckte vollzog sich so unauffällig, als sollte der Mensch, das Tier, nichts davon erfahren.
Irgendwann erwachte Konrad aus dem Rausch seiner Gedanken. Seine Augen, die stets offen gewesen waren, realisierten nun endlich wieder was sie sahen. Er blickte in ein weites Tal mit sanften Hügeln. Nur ein einziges Haus war zu sehen. Es lag direkt an einer Bahntrasse. Sie sah aus wie das Überbleibsel einer roh zugetackerten Wunde.
Beide Konstrukte erweckten den Eindruck im Stich gelassen worden zu sein. Nur beim Bau war die Gegend erfüllt von Maschinenlärm und den Stimmen der Arbeiter. Angereichert durch den Geruch von Mörtel, Teerpappe und Nahrung. Nun, nachdem all die Worte verklungen waren und der Staub und Dreck der Baustelle von vielen Regenschauern, Schneefällen, Frost und Schmelze fortgewischt war lagen die Bauten auf sich allein gestellt an ihrem Geburts- und Sterbeort. Konrad bekam Lust zu dem Haus zu gehen und herauszufinden, was es für ihn bereithielt.


