B R I G A N T 

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Es war eine der belebtesten Kreuzungen der Stadt und plötzlich war Molli Poda ein Teil von ihr wie ein festgestampftes Kaugummi.

Das Wort 'Kreuzung' soll hier nun gleich mehrere Bedeutungen tragen und nicht nur den infrastrukturellen Aufbau zweier Hauptverkehrsadern beschreiben. Nein, hier wurden ebenso soziale Schichten miteinander gekreuzt, um einen gesellschaftlichen Hybriden aus einkaufenden Hausfrauen, Snobs und obdachlosen Hungerleidern im frühnachmittäglichen Vollrausch zu erschaffen, der für Knotenpunkte von Großstädten rund um den Globus charakteristisch ist.

Rudi, der lokalbekannte Trunkenbold, führte mal wieder eines seiner Gespräche mit Rudi, dem lokalbekannten Trunkenbold, der Psychiater reich gemacht hätte, wenn er das Geld für die solchen gehabt hätte, und Frau Holger aus dem Delikatessengeschäft tratschte mit Frau Stinzig aus dem Massagesalon im Nachbarhaus über Frau Besig aus dem Souvenirladen an der Ecke, während Frau Stinzig bei Frau Olger ein halbes Dutzend der köstlichen Frikadellen kaufte, deren wohliger Geruch unter der Türschwelle nach draußen strömte und auch Herr Ludwig den Appetit in die Nase trieb. Dem reichen Bankier, der am Abend dieses Tages in seinem schicken Haus, mit der Vitrine voller Golfpokale, bei einem Glas Sherry über Rudi und die anderen 'Sozialschmarotzer' herziehen sollte, "die an ihrem Pech selbst schuld sind und es nicht einer psychischen Erkrankung in die Schuhe schieben sollen". Und Herr Ludwig selber sollte zwei Jahre später an einem Burnout-Syndrom zu knabbern haben und von seiner Gattin Anne für den geschiedenen Mann der Nachbarin Kunze verlassen werden und drei Jahre später dann sollte sich Herr Ludwig betrunken vom Sherry mit einer Packung Schlaftabletten auf seine letzte Geschäftsreise begeben.

Ja, man kann sagen, dass an dieser Kreuzung Schicksale zu Grabe getragen wurden, wie auch jenes der Molli Poda, die, trotz der wimmelnden Anwesenheit von Rudi, Frau Olger, Frau Stinzig, Frau Besig, Herrn Ludwig und so vielen anderen Namensträgern, ganz unbemerkt von einem LKW erfasst wurde, fast geräuschlos, und fast vollständig unter dem Fahrzeug zerquetscht worden ist.

Der LKW trug die Aufschrift und das Logo einer nationalen Biomarktkette und war auf dem Weg gewesen, um eine Filiale der solchen mit Lebensmitteln zu beliefern, von denen Molli Poda nun nie wieder genüsslich kosten sollte. Da waren frische Kopfsalate und knackige Gurken - Molli war Zeit ihres Lebens Vegetarierin gewesen - kinderkopfgroße Kohlrabi, süße Erdbeeren und allerlei andere Leckereien aus der landwirtschaftlichen Flora der Bauernhöfe im Inland. Die Kopfsalate zum Beispiel wurden zum Großteil von dem Salatgärtner Josef Latuscha beigesteuert, der sie natürlich nie spritzte, denn er war Biobauer und wusste sich mit anderen Methoden Schädlinge wie Schnecken und Läuse aus den Gewächshäusern zu halten.

Molli war zu langsam und im Totenwinkel des Wagens im Begriff gewesen, die Straße zu überqueren. Doch bleibt ohnehin die Frage offen, ob Herr Wozniak, der Brummifahrer, sie denn überhaupt gesehen hätte, wäre sie im lebendigen Winkel des LKWs erschienen. Komischerweise nämlich bemerkte auch Wozniak nic a nic davon, dass er gerade ein Leben beendet hatte, so wie es keiner der Passanten oder der zahlreichen Autofahrer bemerkte; kein Notruf ging in den Zentralen von Polizei und Rettungsdienst ein, kein Reporter sollte den tragischen Unfall im Lokalteil einer Zeitung in den Druck geben, der Rummel auf der Kreuzung ging ungestört weiter, niemand - wirklich niemand - niemand hatte sich erschrocken.